Rechtsanwaltsgesellschaft Großpietsch | Zimmermann mbH - Ihr Weg zum Rechtserfolg

Arbeitnehmerbegriff im Urlaubsrecht

Fachbeitrag im Arbeitnehmerrecht

BAG: Definition des Arbeitnehmerbegriffs im Urlaubsrecht für Fremdgeschäftsführer einer GmbH

  1. Nach § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG muss ein Beschluss über die Zulässigkeit des Rechtswegs gefasst werden, wenn eine Partei dies rügt. Falls dies in der ersten Instanz nicht erfolgt ist, muss dies im Berufungsverfahren durch einen gesonderten Beschluss nachgeholt werden. Fehlt eine solche Entscheidung im Berufungsverfahren, hindern § 17a Abs. 5 GVG in Verbindung mit § 73 Abs. 2, § 65 ArbGG nicht das Bundesarbeitsgericht daran, den Rechtsweg zu prüfen.

  2. Die Bestimmung des Zugangs zu den Arbeitsgerichten und die Festlegung ihrer Zuständigkeitsbereiche unterliegen nicht dem Unionsrecht. Die Frage, wer gemäß ArbGG als Arbeitnehmer gilt, wird nach dem nationalen und nicht dem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff entschieden.

  3. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung eines Fremdgeschäftsführers einer GmbH kann unmittelbar aus § 7 Abs. 4 BUrlG resultieren. Dies ergibt sich aus der Auslegung der Vorschrift, die mit Artikel 7 der Richtlinie 2003/88/EG konform ist, unabhängig davon, ob der Geschäftsführer im nationalen Recht als Arbeitnehmer betrachtet wird. Entscheidend ist der arbeitsrechtliche Arbeitnehmerbegriff der Union. (Amtliche Leitsätze – BAG, Urteil vom 25.07.2023 – 9 AZR 43/22)

Der Fall

Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltung.


Die Klägerin war seit 1993 zunächst als Arbeitnehmerin bei einer zur Unternehmensgruppe der Beklagten gehörenden GmbH beschäftigt. Ab 2012 war sie sodann als „Geschäftsführerin“ bei der Beklagten zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von 6.454,– EUR angestellt und wurde erneut bei der vorgenannten GmbH eingesetzt. Der Dienstvertrag der Klägerin sah nach sechsjähriger Betriebszugehörigkeit einen Urlaubsanspruch von 33 Tagen vor, welchen sie bei der Beklagten beantra-
gen musste. Im Jahr 2019 nahm die Klägerin elf Tage und im Jahr 2020 keinen Urlaub in Anspruch. Die Beklagte übernahm für die GmbH entgeltliche Dienstleistungs- und Beratungstätigkeiten und stellte dieser dazu „ihre Geschäftsführerin … im erforderlichen Umfang für den o.g. Tätigkeitsbereich zur Verfügung“.


Die Beklagte traf dabei detaillierte Anweisungen zur Arbeitszeit und zu den von der Klägerin zu erfüllenden Arbeitsaufgaben. So wurde der Klägerin eine Arbeitszeit von 7:00 bis 18:00 Uhr vorgegeben. Darüber hinaus hatte die Klägerin vormittags am Telefon eine sog. „Kaltakquise“ durchzuführen und nachmittags in eigener Initiative Leistungen anzubieten. Zudem wurde sie im Außendienst zu Kundenbesuchen und Kontroll- und Überwachungsaufgaben eingesetzt. Weiterhin musste die Klägerin wöchentlich 40 Telefonate und 20 Besuche nachweisen. Darüber hinaus führte sie Vorstellungsgespräche und Einstellungsverhandlungen. Im September 2019 legte die Klägerin ihr Amt als Geschäftsführerin nieder. Daran anschließend wurde die Klägerin aus dem Handelsregister ausgetragen. Mit Schreiben vom 25.10.2019 kündigte die Klägerin das Vertragsverhältnis zum 30.6.2020. Dabei erbrachte sie ab Ende August 2019 bis zur Beendigung des Vertragsverhältnisses keine Leistungen mehr, da sie arbeitsunfähig erkrankte.

Das ArbG Minden gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte dazu, den nicht genommenen Urlaub der Klägerin abzugelten (Urt. v. 13.11.2020 – 2 Ca 705/20). Auch das LAG Hamm wies die Berufung der Beklagten zurück (Urt. v. 24.6.2021 – 5 Sa 1494/20).

Die Entscheidung

Ebenso hat das BAG der Klägerin den geltend gemachten Urlaubsabgeltungsanspruch zugesprochen.
§ 1 BUrlG bestimmt, dass jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub hat. Nach § 2 BUrlG sind Arbeitnehmer im Sinne des Gesetzes Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten.
Als Arbeitnehmer gelten auch arbeitnehmerähnliche Personen. Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht genommen werden, so ist er gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Das BAG stellte im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung dar, dass sich der Urlaubsabgeltungsanspruch einer Fremdgeschäftsführerin einer GmbH auch aus § 7 Abs. 4 BUrlG ergäbe, insofern der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht gewährt werden könne. Dies gelte unabhängig davon, ob der Geschäftsführer nach nationalem Recht als Arbeitnehmer anzusehen ist, denn für das
BUrlG sei allein der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff maßgeblich.

Grund hierfür ist, dass durch das BUrlG die Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG umgesetzt werden. Bei der Anwendung von nationalem Umsetzungsrecht sind die nationalen Gerichte dazu gehalten, innerstaatliches Recht richtlinienkonform auszulegen, d.h. die Gerichte haben, unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles zu tun, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten. Die nationale Regelung ist so auszulegen, dass Widersprüche zum Unionsrecht vermieden werden. Die Bestimmung ist – so weit wie möglich – anhand des Wortlauts und des in der Richtlinie festgelegten Ziels zu interpretieren. Dementsprechend sind auch das BUrlG und der dortige Arbeitnehmerbegriff unionsrechtskonform auszulegen. Nach dem EuGH ist als „Arbeitnehmer“ jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Dabei besteht das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (EuGH, Urt. v. 26.3.2015 – C 316/13). Nach der Rechtsprechung des EuGH ist dabei nicht ausgeschlossen, dass das Mitglied eines Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft „Arbeitnehmer“ im Sinne des Unionsrechts ist, auch wenn der Grad der Abhängigkeit oder Unterordnung geringer ist als der eines „üblichen“ Arbeitnehmers. Denn die Eigen-
schaft eines Arbeitnehmers im Sinne des Unionsrechts hängt von den Bedingungen ab, unter denen das Mitglied des Leitungsorgans bestellt wurde, der Art der ihm übertragenen Aufgaben, dem Rahmen, in dem diese Aufgaben ausgeführt werden,
dem Umfang der Befugnisse des Mitglieds und der Kontrolle, der es innerhalb der Gesellschaft unterliegt (EuGH, Urt. v. 9.7.2015 – C 229/14).

Nach den zuvor dargestellten Grundsätzen war die Klägerin nach Ansicht des BAG weisungsgebunden tätig. Denn es bestanden Vorgaben zur Arbeitszeit (7:00 bis 18:00 Uhr); zudem musste die Klägerin wöchentlich 40 Telefonate und 20 Besuche nachweisen. Auch die ihr übertragenen Aufgaben entsprachen typischen Aufgaben eines Angestellten („Kaltakquise“, Kundenbesuche, Kontroll- und Überwachungsaufgaben). Schließlich bestanden, nach Auffassung des BAG, keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin Mehrheitsgesellschafterin war oder eine Sperrminorität besaß.

Da der gesetzliche Urlaubsanspruch nach §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG allein das Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraussetzt, wirkte sich der Umstand, dass die Klägerin ihr Geschäftsführeramt niederlegte, nicht auf die Berechnung des Urlaubs aus. Der Urlaubsanspruch steht nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer eine Arbeitsleistung erbracht hat, sondern er bemisst sich nach den regelmäßigen Tagen mit Arbeitspflicht. Durch die Niederlegung ihres Geschäftsführeramtes war es für die
Klägerin auch nicht unmöglich, ihre vertraglichen Pflichten zu erfüllen, da auch Tätigkeiten unterhalb der Geschäftsführertätigkeit zum Gegenstand ihres Vertragsverhältnisses gemacht wurden. Die der Klägerin übertragenen Aufgaben („Kaltakquise“, Kontroll- und Überwachungsaufgaben, Vorstellungsgespräche- und Einstellungsverhandlungen) konnte die Klägerin auch nach Niederlegung ihres Amtes weiter ausführen.

Der Praxistipp

Bei konsequenter Anwendung der zuvor dargestellten Rechtsprechung müssten auch die durch die Rechtsprechung des BAG konkretisierten Hinweispflichten des Arbeitgebers bzgl. des Verfalls von Urlaubsansprüchen, sowie die Regelungen zum Verfall
von Urlaub bei Langzeitkranken auf Geschäftsführer anwendbar sein. In diesem Fall müsste auch der Geschäftsführer auf seine bestehenden offenen Urlaubstage und den Verfall dieser hingewiesen werden. Es ist ratsam, dies bei der Gestaltung von Dienstverträgen mit Geschäftsführern sowie der praktischen Handhabung im Blick zu behalten.

Rechtsgebiet

Arbeitsrecht-Mobile

Jederzeit für Sie erreichbar

Kontakt

Rechtsanwaltsgesellschaft Großpietsch | Zimmermann mbH. Immer für Sie da

Adresse

Nürnberger Straße 31A
01187 Dresden

Öffnungszeiten

Montag bis Freitag 8:00–18:00 und nach Vereinbarung

Kontakt

Sie müssen den Inhalt von reCAPTCHA laden, um das Formular abzuschicken. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten mit Drittanbietern ausgetauscht werden.

Mehr Informationen