In Zeiten, in denen talentierte und qualifizierte Mitarbeiter die Qual der Wahl haben und der Bewerbermarkt entsprechend knapp ist, neigen Recruiter dazu, sich verstärkt an Kandidaten zu wenden, die bereits in einem Arbeitsverhältnis stehen. Dieser Prozess, oft als „War for Talents“ bezeichnet, wirft natürlich auch wettbewerbsrechtliche Fragen auf. Grundsätzlich hat kein Arbeitgeber einen Anspruch auf den Verbleib seiner Mitarbeiter, und diese sind frei in der Wahl ihres Arbeitsplatzes (Art. 12 GG). Das Abwerben von Mitarbeitern eines Unternehmens, unabhängig davon, ob es sich um einen direkten Wettbewerber handelt oder nicht, ist daher grundsätzlich erlaubt. Ein lebhafter Leistungswettbewerb, auch auf dem Arbeitsmarkt, ist volkswirtschaftlich erwünscht (LG Bonn, Urteil vom 3.1.2013 – 14 O 165/12). Selbst wenn das Abwerben gezielt und strategisch erfolgt, spielt es grundsätzlich keine Rolle, welche Mitarbeiter oder wie viele abgeworben werden. Unternehmen, die sich vor Abwerbungen ihrer Mitarbeiter schützen wollen, müssen attraktiv sein, zum Beispiel durch entsprechende finanzielle Anreize, oder sie müssen ihren Mitarbeitern wettbewerbsrechtliche Beschränkungen auferlegen (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 1.3.2018 – 6 U 165/17). Damit ist auch „Active Sourcing“ grundsätzlich wettbewerbsrechtlich zulässig.
Beim Abwerben durch „Active Sourcing“ handelt es sich um eine Wettbewerbshandlung. Unternehmen oder Recruiter sind Mitbewerber im Sinne der relevanten Gesetze, da sie auf dem Arbeitsmarkt für Personal konkurrieren (LG Bonn, Urteil vom 3.1.2013 – 14 O 165/12). Die Kontaktaufnahme mit Mitarbeitern anderer Unternehmen stellt ebenfalls eine geschäftliche Handlung dar, unabhängig davon, ob klassische Telefonate oder Social-Media-Kontakte genutzt werden. Diese Handlungen sind jedoch nur dann wettbewerbswidrig, wenn sie von unlauteren Begleitumständen begleitet sind, insbesondere wenn unlautere Mittel eingesetzt oder unlautere Zwecke verfolgt werden (BGH, Urteil vom 9.2.2006 – I ZR 73/02).
Die Situation ist recht klar, wenn Mitarbeiter am Arbeitsplatz telefonisch kontaktiert werden. Eine erste telefonische Kontaktaufnahme zum Zwecke der Abwerbung ist in der Regel aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG zulässig. Die Recruiter müssen sich jedoch auf das Notwendige beschränken. Eine Gesprächsdauer von wenigen Minuten übersteigt in der Regel den Rahmen eines ersten Kontakts und kann als wettbewerbswidrig angesehen werden (BGH, Urteil vom 22.11.2007 – I ZR 183/04). Bei der Kontaktaufnahme über das Privathandy eines Mitarbeiters des Mitbewerbers muss der Recruiter zu Beginn sicherstellen, dass sich der Mitarbeiter am Arbeitsplatz befindet, da andernfalls die oben genannten Anforderungen nicht erfüllt werden (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 9.8.2018 – 6 U 51/18).
Deutlich komplizierter ist die Situation bei der Ansprache über E-Mail oder private Chat-Nachrichten in sozialen Medien, insbesondere wenn eine große Anzahl von Kandidaten angesprochen wird. Obwohl die Grundsätze für die Direktansprache am Arbeitsplatz auch hier gelten, kann die Ansprache ohne Einwilligung als unlautere Werbung gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG angesehen werden. Die bloße Mitgliedschaft in einem Netzwerk reicht nicht aus, um eine solche Einwilligung anzunehmen. Eine Einwilligung kann nur abgeleitet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Ansprache ausdrücklich gewünscht ist, beispielsweise aus dem Profil des Kandidaten. Eine Ansprache ist in jedem Fall unlauter, wenn der aktuelle Arbeitgeber herabgesetzt wird oder die Identität des Abwerbenden verschleiert wird (LG Heidelberg, Urteil vom 23.5.2012 – 1 S 58/11; LG Bonn, Urteil vom 3.1.2013 – 14 O 165/12).